9. Januar 2014
Spurensuche auf dem Friedhof
Detektivarbeit: Die Genealogin Mireille Vandersanden bei der Arbeit.
(Foto: Robert Haas)
Bis zu 100 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich vererbt. Sind die Nachkommen nicht auffindbar, beginnt die Arbeit für Ahnenforscherin Mireille Vandersanden. Sie durchstöbert Archive, forscht auf Friedhöfen, reist in ferne Länder.
Von Martina Bay
Die Münchner Ahnenforscherin Mireille Vandersanden hat früher als Mediendokumentarin beim Privatfernsehen gearbeitet. Ihre Rechercheerfahrung nutzt sie heute dafür, Erben aufzuspüren. Für ihre Suche ist sie auf der ganzen Welt unterwegs. Wenn sie jemanden gefunden hat, meldet sie sich meist zunächst telefonisch, manchmal kommt sie auch persönlich vorbei - doch niemals ohne Voranmeldung. Zum Gespräch traf die SZ sie auf dem Friedhof in Haidhausen.
Frau Vandersanden, wie reagieren Erben, wenn Sie sich zum ersten Mal bei ihnen melden?
Mireille Vandersanden: Es kann schon passieren, dass jemand sofort den Hörer auflegt. Bei Fragen wie "Wo sind Sie geboren?" oder "Hat Ihre Mutter erneut geheiratet?" kann ich verstehen, wenn die Leute misstrauisch sind. Aber es gibt auch Erben, die gerne über die Familie und die Vergangenheit sprechen.
Beschreiben Sie doch mal, wie Sie bei der Suche vorgehen.
Zu Beginn einer Ermittlung gibt es einen Erblasser. Ich kenne den Namen, das Sterbedatum und den Sterbeort. Nehmen wir mal an, jemand ist in München geboren, die Eltern sind aber zum Beispiel in Polen oder in Frankreich geboren - dann muss ich in den betreffenden Ländern suchen. In einem aktuellen Fall recherchiere ich in zehn Ländern.
Gerade stehen wir auf einem Münchner Friedhof, was suchen Sie hier?
Wir suchen zwar Erben, die leben, aber wir wissen nicht, wer sie sind. Wir wissen noch nicht einmal, ob es sie gibt. Wir wissen nicht, wie sie heißen und wo sie geboren sind. Wir kennen nur den Erblasser, der gestorben ist. Darum gehen wir auf Friedhöfe, in der Hoffnung, weitere Angaben auf den Grabsteinen zu finden. Also Geburtsdaten, Namen und auch Orte. Wenn auf dem Grabstein steht "Meine liebe Schwester", dann weiß ich zum Beispiel, dass die gestorbene Frau Geschwister hatte. Mit diesen Daten können wir sowohl in den Archiven stöbern als auch Urkunden anfordern.
Welche Urkunden zum Beispiel?
Geburtsurkunden, Erbscheine, Testamente, Vaterschaftsanerkennungen, Grundbuchauszüge, Scheidungsurteile, Rentenbelege oder Betreuungsunterlagen. Diese Urkunden benötigen wir, um weiter zu recherchieren oder auch um nachzuweisen, ob jemand erbberechtigt ist.
Wo suchen Sie noch außer auf Friedhöfen?
Ich suche unter anderem in Kirchenbucharchiven, Stadtarchiven, Staatsarchiven und in Bibliotheken.
Kling ganz schön zeitaufwendig.
Manchmal kann man eine Erbenermittlung innerhalb von 24 Stunden abschließen. Manchmal dauert die Suche mehrere Jahre. Man weiß zu Beginn nie, wo man letztendlich landet und welche Schwierigkeiten auftreten können.
Was sind das für Schwierigkeiten?
Manchmal müssen wir bis zu zwölf Monate auf eine Urkunde warten. Außerdem sind viele Urkunden durch Krieg, Vertreibung und Auswanderung verloren gegangen. Wenn man also russische Urkunden aus Polen erhält, weil die Russen damals polnische Gebiete besetzt haben, dann können Zuständigkeitsprobleme und Sprachbarrieren entstehen. Auch sind durch die Kriege viele Grenzen immer wieder verschoben worden.
Was passiert, wenn der Erbe den Nachlass nicht will?
Dann kann er natürlich auf das Erbe verzichten.
Wer beauftragt Sie?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wir können von den Nachlassgerichten und dem Nachlasspfleger beauftragt werden. Dann gibt es noch den Bundesanzeiger, wo die Gerichte einen sogenannten Erbenaufruf machen. Wenn wir uns einen interessanten Fall aus dem Bundesanzeiger herausgepickt haben, dann können wir an die Gerichte herantreten und um eine Ermittlungsvollmacht bitten. Denn mit so einer Vollmacht komme ich schneller voran und erhalte auch Urkunden, die durch das Personenstandsgesetz noch nicht herausgegeben werden dürfen.
Von welchen Summen reden wir eigentlich?
Der niedrigste Nachlass lag bei 5000 Euro, der höchste bei 1,9 Millionen Euro. Theoretisch kann der Nachlass sogar verschuldet sein. Ein Erbenermittler wird aber niemals einen überschuldeten Nachlass recherchieren, da er sein Honorar aus dem Nachlass bezieht.
Wie hoch ist dieses Honorar?
Das Honorar liegt zwischen 25 und 33 Prozent. Einen Nachlass, der 1,5Millionen Euro wert ist, kann man meistens zu 25 Prozent abwickeln, da er die Kosten auf jeden Fall decken wird. Wenn dagegen die Recherchekosten im Ausland 20.000 Euro betragen, dann kann ein Nachlass nicht unter 33 Prozent abgewickelt werden. Wenn ich keinen Erben finde, bleibe ich auf meinen Kosten sitzen.
Was sind das für Kosten?
Urkunden zum Beispiel. Da können Kosten von 50 Euro bis 10.000 Euro entstehen. Ich arbeite für eine internationale Erbenermittlungsagentur. Wenn ich erfolgreich war, dann werden die Kosten für die Urkunden von der Ermittlungsagentur zurück erstattet. Hinzu kommen noch Notar-, Rechtsanwalts- und Gerichtskosten.
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